Bei der klassischen Form der Abhyanga – die ayurvedische Ölmassage – geht es vor allem darum, das Öl tief in das Gewebe des Patienten „hineinzuschrubben“. Die durch Druck und Geschwindigkeit entstehende Reibung ist dabei der ausschlaggebende, Faktor (von der Wirkung des Öls einmal abgesehen). Dadurch wird das Körpergewebe mechanisch aktiviert. Die Reaktions- und Aufnahmefähigkeit der Haut nehmen durch schnelles Reiben lokal zu. Der Stoffwechsel wird angeregt. Es entsteht Hitze, auf die der Körper mit dem Öffnen der Poren reagiert. Das verwendete Massageöl kann durch die offenen Poren leicht aufgenommen werden, und in die tiefer gelegenen Gewebsschichten vordringen.
Bei ausreichendem Druck werden durchblutungsfördernde Mechanismen aktiviert. Durch die Mehrdurchblutung können die Bestandteile des Öls besser aufgenommen werden. Über die Gefäßbahnen gelangen sie zu den Dathus des gesamten Organismus und nähren sie. Durch das Zusammenwirken von Mechanik, lösenden und reinigenden Substanzen des Massagemittels, erhöhtem Stoffwechsel und verbesserter Durchblutung können Schlackestoffe aus dem Gewebe gelöst und abtransportiert werden. Die Bestandteile des Massagemittels binden die gelösten Schlackestoffe, insbesondere die fettlöslichen, so dass diese besser ausgeschieden werden können. Im Westen wird die Abhyanga in der Regel langsam und mit wenig Druck ausgeführt. So kommt es, dass die beschriebenen Mechanismen nicht in Gang gesetzt werden können.

Vor allem bei Menschen, deren Stoffwechsel ungenügend ist und die keine aktivierende, mechanische Wirkung erfahren, ergeben sich oft Probleme. Diese Menschen haben die Neigung durch die sanfte Abhyanga, mit sehr viel Öl, geistig und körperlich schwer und dumpf zu werden. Vor allem bei mehrtägigen Behandlungen „ertrinken“ sie förmlich im Öl.
Viel Öl macht schwer. Durch das sanfte Massieren findet eine vegetative Umstellung statt, die den Stoffwechsel und die Bewegungsvorgänge des Organismus herabsetzen. Wenn Schwere und verminderte Bewegung schon zu den konstitutionsbedingten Problemen eines Menschen gehören, dann ist eine solche Behandlung der Gesundheit des Patienten oder Kunden nicht zuträglich. Sie widerspricht der Harmonielehre des Ayurveda. Menschen mit einem guten Stoffwechsel haben dagegen kaum Probleme mit viel Öl. Diejenigen, die konstitutionsbedingt eher unter Trockenheit, Rauheit und mangelnder Substanz leiden, sind nach klassischer Zielsetzung die Nutznießer einer sanften Abhyanga.

Bedeutung der sanften Abhyanga

Sanfte Massagen sind ein hervorragendes Mittel, um einen Menschen in einen Entspannungszustand zu bringen. Dazu sind alle Formen der sanften Massagen gut geeignet. Bei der sanften Abhyanga geschieht das Streichen, auf Grund der Verwendung von Öl sehr weich und harmonisch. Das hebt sie besonders hervor. Die Spannung des gesamten Körpers nimmt ab, genauso wie ein Großteil der emotionalen Anspannungen. Hartnäckige Verspannungen und Schmerzzustände bleiben durch sanfte Massagen in der Regel aber unbeeinflusst, genauso wie Ursachen eines emotionalen Ungleichgewichts. Von daher ist diese Massageform in diesen Fällen für sich allein gesehen keine Kausaltherapie. Da viele Menschen in unserem Kulturkreis jedoch nicht bereit sind die Ursachen direkt anzugehen, ist die sanfte Abhyanga ein hervorragendes Mittel, um ihnen die Kompensation ihrer ungünstigen Lebenssituation zu erleichtern.

Für viele Menschen ist es etwas ganz Besonderes, sanft berührt zu werden, weil es ihnen im Alltag nicht widerfährt. Für die Zeit der Massage genießen Sie ein Höchstmaß an Beachtung und werden umsorgt. Allein diese Tatsache hat für viele Menschen in der heutigen Zeit einen unbeschreiblichen Wert, unabhängig davon welcher Konstitutionstyp vorliegt. Diese subtile Wirkungsweise vermag, jenseits der strukturellen Ebene, Wunder zu vollbringen. Bei Massagen die auf der subtilen Ebene der Sinneswahrnehmung stattfinden, liegt es nahe wohlriechende Massagemittel den medizinierten Ölen vorzuziehen. Mögliche Probleme, die bei einer solchen Behandlung auch im grobstofflichen Bereich auftreten können, sollten dem Therapeuten aber bewusst sein, damit er in entsprechender Weise darauf reagieren kann.

Kalari Behandlungen

Entstehungsgeschichtlich gehen die Kalari Behandlungen auf das Wissen der südindischen Kampfkünstler zurück. Diese waren Experten was ganzheitliche Körperarbeit und die Behandlung von traumatischen Verletzungen anbelangte. Auf der Grundlage des Ayurveda entwickelten sie über Jahrhunderte hinweg ein sehr ausgeklügeltes System, das heutige Kalari Chikitsa. Ziel der Behandlung ist es, den Energiefluss des Menschen zu optimieren oder überhaupt wieder herzustellen. Dazu bedient man sich sowohl systemischer als auch lokaler Behandlungstechniken. Diese beinhalten spezielle, aufeinander abgestimmte Mobilisationstechniken, therapeutische Übungen sowie Wärme- und Kräuter Anwendungen. Eine zentrale Rolle spielt hierbei das komplexe Massagesystem der Kalari Uzhichil, basierend auf dem Marma Vidya.

Wirkung der Kalari Uzhichil

Uzhichil, die Kalari Marma Massagen haben die Eigenschaft, den Menschen sowohl auf der grob-, als auch auf der feinstofflichen Ebene zu behandeln. Die Wirkungsweise der Uzhichil basiert grundsätzlich auf den selben physiologischen Prinzipien wie die Abhyanga. Zudem zielt sie darauf ab, das Marma – Nadi-System (System der Vitalen Punkte und Leitungsbahnen) zu bearbeiten und sowohl Blockierungen im Grobstofflichen, als auch Blockaden im Feinstofflichen zu beseitigen.

Exkurs

Marmapunkte:

Marmas sind vitale Punkte, an denen das Grob- und Feinstoffliche des Menschen auf besondere Art und Weise miteinander verbunden ist. Das macht sie einerseits zu systembrechenden Schwachpunkten, andererseits kann über sie ausgezeichnet therapeutisch auf das gesamte System eingewirkt werden.

Nadis:

Um über Marmas auf das gesamte System einwirken zu können, bedarf es der Nadis. Als Nadi wird alles bezeichnet, wodurch etwas fließen kann. Im Menschen gibt es sowohl grob-, als auch feinstoffliche Nadis. Zu den Grobstofflichen gehören beispielsweise die Blutgefäße, zu den feinstofflichen die Bahnen, durch die unsere Emotionen fließen. Grob-, und Feinstoffliches ist über Nadis miteinander verbunden. Diese Verbindung macht es zum Beispiel möglich, dass ein bloßer Gedanke Magenschmerzen verursachen kann. Marmas und Nadis können in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Dies geschieht beispielsweise durch Traumen, Fehl- oder Überlastung, falsche Ernährung, Lebensumstände und Umwelteinflüsse.

Das Besondere an der Uzhichil ist, das bestimmte Marma- Konstellationen miteinander in Verbindung gesetzt werden, um Blockaden zu beheben. Dabei bedient man sich der Stimulation der dazugehörigen Nadis. Um die Nadis für die Stimulation durch die Massage empfänglich zu machen, werden spezifische Ausgangsstellungen gewählt. Dies geschieht zum einen durch Umlagerung des Patienten, ähnlich wie bei der Abhyanga, und zum anderen über passiv veränderte Gelenkstellungen der Extremitäten und des Rumpfes. So werden die Nadis gestreckt und durchgängiger gemacht. Die Energie wird aus aktiven Zentren des Körpers in die betroffenen Marmaregionen geleitet. Das bedeutet, dass der Druck in der Regel vom Körperstamm zu den Extremitäten hin gerichtet ist. Die Befürchtung, dass der lymphatische und venöse Rückstrom dadurch negativ beeinflusst wird, ist unbegründet. Für das Lymphsystem ist der angewandte Druck zu hoch, als dass die Lymphgefäße direkt darauf reagieren könnten. Der venöse Rückstrom ist im Liegen abhängig von der Stärke der Pulswelle der parallel laufenden Arterie. Eben diese Pulswelle wird durch den zu den Extremitäten gerichteten Druck verstärkt und so indirekt der venöse Rückstrom unterstützt. Es gibt einige Krankheitsbilder, wie beispielsweise die Venen Insuffizienz, wo Vorsicht geboten ist.

In Bezug auf die grobstofflichen Nadis, wie Blutgefäße, Nerven und Faszienverläufe, ist die Richtung des Drucks ebenso entscheidend. Wenn man sich diese Nadis wie Schläuche vorstellt, die ihren Ursprung im Körperstamm haben und sich in die Peripherie erstrecken, wird dies verständlich. Streichender Druck in Richtung Körperstamm würde die Nadis stauchen. Durch Stauchung verändert sich der relativ geradförmige Verlauf der Nadis und damit die Fließeigenschaft nachteilig. Findet der Druck in Richtung der Peripherie statt, so werden die Nadis in die Länge gezogen und gedehnt. Abschnitte, die durch Traumen, Fehlbelastung, etc. in gestauchten Zustand geraten und dort evtl. verklebt sind, werden so gelöst und in ihrem Verlauf begradigt. Dazu liegt der Fokus der Massagestriche auf dem genauen Verlauf der jeweiligen Nadis und dazugehörigen Marmas. Die Kalari Therapeuten bedienen sich spezieller Übungen und Techniken, die ihr eigenes energetisches Potential erhöhen und es ihnen ermöglichen, in der Massage vermehrt heilende Energie auf den Patienten zu übertragen. Die Wirkung der Uzhichil beruht also auf der mechanischen und energetischen Komponente, so wie der spezifischen Wirkungsweise des medizinierten Öls.

Eigenschaften medizinierter Massageöle

Was alle ayurvedischen Massagen miteinander verbindet, ist die Verwendung von speziellen Massageölen. Die Herstellung eines medizinierten, ayurvedischen Öls sieht kurz beschrieben so aus: Ein Basisöl wird mit Kräutersäften bzw. Pflanzenabkochungen gemischt und unter ständigem Rühren solange gekocht, bis alles Wasser verdampft ist. Dieser Prozess dauert mehrere Stunden und bewirkt folgende Veränderungen: Die Wirkungsweise der einzelnen Rohstoffe bleibt nur in gewissem Ausmaß auch nach dem Herstellungsprozess bestehen. Dafür ergeben sich weitere, ganz spezielle Wirkungen. Die Reaktionsmöglichkeit von Molekülen ist abhängig davon, wie viel Energie der Reaktion zur Verfügung gestellt wird. Moleküle können durch die Zufuhr von Hitze zerfallen, neue können entstehen. Durch das lange Kochen des Öls wird so viel Energie zugeführt, das Reaktionen stattfinden, die ohne ausgiebige Energiezufuhr nicht stattfinden können. So werden neue Stoffe gebildet. Diese Stoffe wiederum haben eigene Eigenschaften, die sich von denen der Rohstoffe unterscheiden. Wie viele neue Stoffe und damit neue Eigenschaften in einem Öl durch den Prozess seiner Herstellung entstehen, ist abhängig von der Art und Menge der jeweils verwandten Rohstoffe.

Neben der Entstehung von neuen Wirkstoffen werden alle Moleküle durch das lange Kochen mit Wärmeenergie aufgeladen. Auch nach dem Abkühlen bleibt einen Teil dieser Energie in den Molekülen gespeichert. Das macht die Moleküle des Öls reaktionsfreudiger. So ist das fertige Öl in der Lage, mit dem Gewebe des menschlichen Körpers anders zu reagieren als Öle, die diesen Prozess nicht durchlaufen haben. Kurz gesagt, der Prozess der Herstellung eines Öls ist genauso wichtig, wie das Mengenverhältnis und die Wirkung seiner Zutaten. Dieses Wissen machten sich die alten Rishis zunutze und erstellten eine Vielzahl von Rezepturen medizinierter Massageöle. Die meisten von ihnen werden auf der Basis von Sesamöl hergestellt, so genannte Thailams. Sesamöl hat die Eigenschaft, sehr tief in die Gewebe vorzudringen, deshalb wird es seit alters her bei der Herstellung medizinischer Öle als Trägersubstanz verwendet. Wenn die Massage den Behandlungsschwerpunkt ausmacht, ist reines Sesamöl trotz seiner guten Eigenschaften nicht ausreichend, um eine deutliche Wirkung zu erzielen. So verhält es sich im Übrigen mit den meisten Basisölen. Sie sind als Gleitmittel und Trägersubstanzen gut geeignet, ihre Wirkung ist verglichen mit der der medizinierten Öle jedoch gering.

Die Kunst der Herstellung solch medizinierter Öle ist in unserem Kulturkreis erst seit wenigen Jahren bekannt. Von daher gibt es bisher verhältnismäßig wenig Erfahrung mit einheimischen Zutaten und optimalen Mengenverhältnissen. So bleibt auch bei uns die Verwendung der klassischen Thailams – Öle –  so lange ein wichtiger Bestandteil der Massagebehandlungen, bis sich dieser Umstand durch systematische Herangehensweise und entsprechend gesammelter Erfahrung geändert hat.

Autor:

Steffen Geißler, Physiotherapeut, Mitbegründer und Dozent des Kalari Kendram für Kalarippayat, Kalari Chikitsa, Marma Chikitsa und Ayurveda. Steffen Geißler entdeckte `93 auf der Suche nach den Ursprüngen der Kampfkünste die Kalari Tradition in Indien.

Nach seinen mehrjährigen Aufenthalten in Indien eröffnete er als offizieller Repräsentant der Kerala Kalarippayat Academy (Kannur, Kerala / Indien) den Kalari-Hamburg, ein Ausbildungsort für Kalarippayat und Kalari Chikitsa. In seiner Tätigkeit als Physiotherapeut hat er sich besonders auf die Therapien des Kalari Chikitsa, Marma Chikitsa und Ayurveda spezialisiert. Er vereint das moderne Wissen der Physiotherapie, manuellen Therapie und Applied Kinesiology mit der traditionellen Heilkunde der Kalaris. In den letzten Jahren arbeitete Steffen Geißler in verschiedenen Praxen und Reha-Zentren. Darüber hinaus gibt er seine Erfahrungen in Seminaren und Ausbildungen auf internationaler Ebene weiter.

Kalari-Zentrum, Physiotherapie und Naturheilpraxis Geißler
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